Bürgerbegehren, abgeschlossen Raus aus der Steinkohle!
Wer in München ins Kino geht, der sieht erstmal von Wind und Wasser angetriebene Turbinen. Dazu lacht die Sonne auf bayerische Solarzellen herab. Die Stadtwerke München (SWM) setzten auf „die Kräfte der Natur“, heißt es in dem Spot. Was man nicht sieht, ist das Heizkraftwerk Nord: Dessen Block 2 wird mit Steinkohle befeuert und erzeugt jährlich mehr CO2 als der gesamte Münchner Straßenverkehr.
800.000 Tonnen Steinkohle werden jedes Jahr
im Heizkraftwerk Nord verbrannt
Dieser Bilderbuch-Klimakiller gehört zu hundert Prozent den Stadtwerken, die wiederum vollständig Eigentum der Stadt München sind – und somit letztlich der Bürgerinnen und Bürger. Das Bündnis „Raus aus der Steinkohle“ startete deshalb ein Bürgerbegehren. Die MünchnerInnen sollten darüber abstimmen, ob „ihr“ Kohlekraftwerk bis 2022 vom Netz geht.
Dafür mussten sie zunächst einmal von dessen Existenz erfahren. Die SWM gelten nämlich als leuchtendes Beispiel eines kommunalen Energieversorgers, der aktiv die Energiewende vorantreibt. „Was, in München steht ein Kohlekraftwerk?“ war die Antwort, die die Aktiven am häufigsten zu hören bekamen, als sie anfingen, Unterschriften zu sammeln.
Bild-Zeitung titelt: „Münchens dreiste Öko-Lügen“
Die Plakatkampagne „Von wegen…“ rückte das Bild gerade. Denn zwar investieren die Stadtwerke in profitbringende Offshore-Windparks in der Nordsee. Doch die von dem kommunalen Versorger lokal in eigenen Anlagen produzierte Energie stammt noch zu mehr als 80 Prozent aus fossilen Quellen. Die dezentrale Energiewende vor Ort ist dem kommunalen Unternehmen zu aufwändig.
Außerdem sitzt München durch die Lage über dem bayerischen Molassebecken auf einem gewaltigen Geothermie-Potenzial. Trotzdem wollen sich die Stadtwerke mit der kompletten Umstellung der Fernwärme auf erneuerbare Energien noch über 20 Jahre Zeit lassen. Angeblich wegen technischer Hürden – doch eigentlich geht es um Geld. Es wäre ganz einfach profitabler, das bereits abgeschriebene Kohlekraftwerk weiterqualmen zu lassen.
Die größte Maßnahme für den Klimaschutz ist auch die billigste
Bevor sie auf Konfrontationskurs gingen, suchten die Kohle-GegnerInnen zunächst den Dialog mit den Stadtwerken. Die waren gesprächsbereit. Der Vorsitzende der SWM-Geschäftsführung sagte zu, ein 2015 erstelltes Gutachten über eine vorzeitige Abschaltung des Kraftwerks aktualisieren zu lassen. Ursprünglich sollte das erst vier Jahre später passieren. Die UmweltschützerInnen durften außerdem mitbestimmen, welche Parameter dabei berücksichtigt wurden.
Die erste Studie hatte errechnet, dass den SWM durch die Stilllegung des Kohlekraftwerks im Jahr 2022 statt 2035 insgesamt Gewinne in der Höhe von etwa 300 Millionen Euro entgehen würden. Mit den neu einbezogenen Parametern korrigierten die GutachterInnen die Zahl um die Hälfte nach unten. Übrig blieben 12 Millionen Euro jährlich und damit weniger, als die Stadt München jedes Jahr für den Klimaschutz ausgibt, etwa in Form von Gebäudesanierungen oder Bildungsangeboten. Mit dieser Summe spart sie trotzdem viel weniger Emissionen einspart, als das Kohlekraftwerk im selben Zeitraum produziert. Das rechnete „Raus aus der Steinkohle“ der Presse vor.
Wahrzeichen Münchens fordert "Klimaschutz statt Kohleschmutz"
Rückenwind bekam das Bündnis aus dem Umland. Im Dezember 2015 forderte der Kreistag des Landkreises München die Stadtwerke mit deutlicher Mehrheit auf, Schadstoffemissionen abzustellen. Unterföhring, die Gemeinde am Rande Münchens, auf deren Grund das Kraftwerk steht, verabschiedete eine ähnliche Resolution und kündigte zugleich den Nutzungsvertrag mit den SWM. Ab 2021 bezieht die Gemeinde nun keinen schmutzigen Kohlestrom mehr, sondern setzt stattdessen auf umweltfreundliche Geothermie.
Im Sommer 2017 nahm auch in München der Protest Schwung auf. Die Kampagne hatte die nötigen Unterschriften gesammelt, der Abstimmungstermin stand fest. Für den dreimonatigen Endspurt mobilisierte „Raus aus der Steinkohle“ alle Ressourcen. Sogar die Bavaria, Wächterin der Stadt, forderte mit einem riesigen Banner „Klimaschutz statt Kohleschmutz“. AktivistInnen von „Ende Gelände“ hatten es ihr umgehängt. Die gewaltige Bronzestatue, 1850 als Nationaldenkmal eingeweiht, blickte damit ausnahmsweise mal in die Zukunft.
Am 5. November, zum Auftakt der Weltklimakonferenz in Bonn, votierten über 60 Prozent der Abstimmenden für den lokalen Kohleausstieg in München.
Ansprechperson
Michael Schabl
"Energieerzeugung aus Kohle mit der einhergehenden Ausbeutung ist sowas von gestern – Natur und Mensch vor Profit!"