Bürgerbegehren, abgeschlossen Die Fahrrad­rebellion von Bamberg

Ort
Bamberg
Kategorie
Verkehrswende
Der „Volksentscheid Fahrrad“ in Berlin hat vorgemacht, wie BürgerInnen ihre Stadt sicherer für FahrradfahrerInnen und gleichzeitig lebenswerter und klimafreundlicher machen können. RadaktivistInnen aus Bamberg haben das Konzept auf ihre Stadt übertragen. Mit Erfolg.
Die Fahrrad­rebellion von Bamberg

Die Demonstrierenden standen auf einem Servierwagen, neben Kuchen und Keksen. Sie waren nur wenige Zentimeter groß, aber ihre Forderungen waren eindeutig: „Sichere Radwege für unsere Kinder!“ und „Keine Autos auf Radwegen!“ stand auf den Schildern der fahrradfahrenden Playmobil-Figuren. Der Bamberger Oberbürgermeister bekam sie bei einer  Sitzung des Stadtrats im Sommer 2017 serviert. Sie waren aber nur der Nachtisch. Der Hauptgang bestand aus 8700 Unterschriften von Bamberger Bürgerinnen und Bürgern. Das Quorum des Bürgerbegehrens „Radentscheid Bamberg“ war geknackt.

Mit einem wechselnden Pool von 15 bis 20 Ehrenamtlichen hatte das Bündnis innerhalb von drei Monaten mehr Unterschriften gesammelt als je ein Bürgerbegehren in Bamberg zuvor. Unterzeichnet hatten die Menschen einen Forderungskatalog, der zehn Maßnahmen zur Verbesserung der Fahrradinfrastruktur umfasste. Unter anderem gehörten dazu fahrradgerechte, sichere Schulwegrouten, 5000 Fahrradparkplätze bis 2025, Radschnellwege für den Pendelverkehr und die „grüne Welle“ für den Umweltverbund.

Eine kritische Masse an Unterschriften

Die Ziele orientierten sich an denen des „Volksentscheids Fahrrad“ in Berlin. Christian Hader hatte 2016 zufällig auf Facebook von der Kampagne erfahren. Damals engagierte er sich bereits seit Jahren bei der Fahrrad-Bewegung „Critical Mass“. Das Berliner Volksbegehren erschien ihm als logische Fortsetzung dieser Protestform: Ab einer bestimmten Zahl von Unterschriften wäre die Politik gezwungen, die Anliegen der Fahrradfahrenden endlich ernst zu nehmen. Also trommelte er Gleichgesinnte zusammen. Der „Radentscheid Bamberg“ war geboren.

„Es hängt von den lokalen Bedingungen ab, wie man eine Kampagne für ein Fahrrad-Bürgerbegehren am besten aufzieht. Bamberg ist ein konservatives Pflaster. Der Fokus unserer Kampagne lag daher auf der Verkehrssicherheit. Die Umverteilung des öffentlichen Raums zulasten des motorisierten Individualverkehrs haben wir bis zum Ende der Unterschriftensammlung hinten angestellt.“

Christian Hader
Seit dem erfolgreichen „Radentscheid“ klingelt bei  Christian häufig das Telefon. Er berät Initiativen von Regensburg bis Köln, wie sie per Bürgerbegehren die lokale Verkehrswende starten können.

Das Organisationsteam aus einer guten Handvoll Ehrenamtlicher, das sich bald konsolidierte, nahm zunächst Kontakt zum Kreisvorstand des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) und weiteren lokalen AkteurInnen auf. Der Verein „Mehr Demokratie“ und ein Verwaltungsrechtler lieferten das Know-How über die Mechanismen direkter Demokratie und halfen bei der juristisch einwandfreien Formulierung der Abstimmungsfrage. Die Aktiven entwarfen Flyer, bedruckten Einkaufstaschen mit dem Logo der Kampagne, stellten Buttons her und laminierten Fahrrad-Speichenkarten in tausendfacher Ausführung. Mit Sprühkreide schrieben sie „Bamberg lässt RadlerInnen im Regen stehen“ vor dem Rathaus auf die Straße. Beim traditionellen „Stadtradeln“ stellte das Bündnis das größte Team mit den meisten Kilometern. Der „Radentscheid“ war in Bamberg nicht zu übersehen.

Christian Hader selbst betreut nach wie vor die Social Media-Kanäle der Initiative. Die Homepage und das Kampagnenlogo hat sein Bruder, ein Webdesigner, kostenlos erstellt. Unterm Strich kam das Bündnis durch das breite ehrenamtliche Engagement mit einem niedrigen vierstelligen Betrag für die gesamte Kampagne aus.

Erfolg trotz Gegenwind aus dem Rathaus

Im September 2017, kurz nach der Übergabe der Unterschriften, befand der Bamberger Stadtrat das Bürgerbegehren für zulässig. Auf Wunsch des Oberbürgermeisters traf sich die Initiative mit der Stadtverwaltung zu Gesprächen. Gemeinsam fanden sie eine Lösung, wie die wesentlichen Ziele des Radentscheids umzusetzen wären. Der OB verwässerte dieses Maßnahmenpaket allerdings vor seiner Zustimmung so stark, dass das Bündnis dagegen Protest einlegte und einen neuen Vorschlag einreichte. Er sollte die Stadt nicht viel Geld kosten, enthielt aber die klare Forderung, den Platz auf den Straßen zugunsten des Radverkehrs umzuverteilen.

Doch der Bürgermeister mauerte. Als die Aktiven basisdemokratisch entschieden, das Papier der Stadt nicht zu akzeptieren, warf er ihnen öffentlich einen „Egotrip“ vor. Die Fahrrad-AktivistInnen konterten, die Stadtspitze wolle die BürgerInnen mit „Schaufenstermaßnahmen“ abspeisen. Der ADFC-Bundesvorstand wandte sich mit einem offenen Brief an die politisch Verantwortlichen der Stadt. Darin forderte er sie auf, „die Chance des ‚Radentscheids‘ zu be- und ergreifen.“ Doch die Fronten waren verhärtet.

Also musste die Stadtbevölkerung entscheiden. Der Abstimmungstermin für den Bürgerentscheid wurde auf den 18. März 2018 angesetzt. Kurz bevor es soweit war, gab es jedoch ein weiteres Treffen zwischen „Radentscheid“-Aktiven, dem Oberbürgermeister und den Fraktionsvorsitzenden – und endlich floss Tinte. Der Stadtrat beschloss nun doch noch die sieben zulässigen Ziele des Bürgerbegehrens. Zusätzlich verabschiedete er ein Maßnahmenpaket, das einen Kompromiss darstellte. Einen, aus Sicht der AktivistInnen, sehr guten Kompromiss. Kurz gesagt: Sie hatten gewonnen.

Durch den Radentscheid gibt Bamberg 2018 nun 160.000 Euro für den Radverkehr aus -
drei Mal so viel wie im Jahr zuvor und damit aktuell zwei Euro pro EinwohnerIn

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