Bürgerbegehren, abgeschlossen Stadt und Land, Hand in Hand
An einem Donnerstag im Juni 2012, wenige Tage vor der großen Entscheidung, waren sie schon in Sichtweite der bayerischen Staatsregierung angekommen. Bei der Aktion „Occupy Staatskanzlei“ läuteten gleich zwei Protest-Bündnisse im Hofgarten vor der mächtigen Kulisse des Regierungsgebäudes zum dreitägigen Endspurt mit Infotischen und einem Musikprogramm.
Sie hatten Feldbetten aufgeklappt und schliefen unter freiem Himmel. Ein richtiges Zeltlager zu errichten ist in München verboten, also ließen sie die Zelte einfach weg. Viel wichtiger als ein Dach über dem Kopf war, dass sie die für ein Bürgerbegehren nötigen Unterschriften der Münchnerinnen und Münchner im Rücken hatten. Für den Sonntag waren diese aufgerufen, über den Bau einer dritten Start- und Landebahn für den Flughafen zu entscheiden.
"Das ist unsere einzige Chance"
Im Jahr zuvor hatte die Regierung von Oberbayern grünes Licht für das Bauprojekt auf einem Vogelschutzgebiet gegeben. Vorausgegangen war ein vierjähriges Planfeststellungsverfahren, in dessen Verlauf die Bürgerinnen und Bürger der betroffenen Gemeinden im Münchner Umland insgesamt rund 84 000 Einwendungen eingereicht hatten. Unterstützt hatten sie dabei die in dem Bündnis „AufgeMUCkt“ zusammengeschlossenen örtlichen Bürgerinitiativen. Im Planfeststellungsbeschluss spiegelten sich die vorgebrachten Gegenargumente jedoch nicht wieder. Es half auch nichts, dass mehrere Gutachten Zweifel am wirtschaftlichen Nutzen der milliardenteuren Betonwüste äußerten. Der Entwurf des Flughafens wurde praktisch eins zu eins übernommen.
Kurz bevor die Bagger endgültig losrollten, gründeten die Münchner Grünen, die Freien Wähler und der Bund Naturschutz ein zweites Bündnis innerhalb der Stadtgrenzen: „München gegen die dritte Startbahn“. Gemeinsam mit den Umland-Bürgerinitiativen von „AufgeMUCkt“ verkündeten sie, einen letzten Trumpf ausspielen zu wollen. In einem Bürgerbegehren sollten die Münchnerinnen und Münchner über das Bauprojekt entscheiden. Möglich war das, weil die Stadt München als Gesellschafterin des Flughafens ein Veto-Recht gegen den Ausbau besitzt. Eine Sprecherin des Bündnisses verglich den Bürgerentscheid mit einem Elfmeter: „Das ist unsere einzige Chance, wir müssen und werden ihn versenken.“
Von den Menschen aus den Umlandgemeinden, die selbst nicht abstimmen durften, gab es dagegen zunächst Vorbehalte. Nun sollten die MünchnerInnen über ihr Anliegen entscheiden, die von dem Lärm und der Landschaftszerstörung gar nicht direkt betroffen waren. Ganz unbegründet schienen die Bedenken nicht, denn der damalige Münchner Oberbürgermeister Christian Ude – ein entschiedener Fürsprecher der dritten Startbahn – frohlockte, das Bürgerbegehren komme ihm „sehr gelegen“. Er ging davon aus, dass die MünchnerInnen gegen Fluglärm, den sie nicht hören, nichts einzuwenden haben würden. Wenn sie die unliebsame Entscheidung träfen, wäre er als Buhmann aus dem Schneider.
Mehr Herz oder mehr Weltstadt?
Stadt und Land ließen sich aber nicht gegeneinander ausspielen. Die Bündnisse „München gegen die 3. Startbahn“ und „AufgeMUCkt“ blieben formal getrennt, zogen aber fest an einem Strang für das Bürgerbegehren und sammelten gemeinsam die nötigen Unterschriften. Auf dem Winterfestival „Tollwood“ war ein Infostand sogar den gesamten Dezember über durchgehend besetzt, trotz Minusgraden. Am Nikolaustag warfen sich Aktive des Bürgerbegehrens rote Mäntel über, klebten sich weiße Bärte an und knabberten für die PressefotografInnen an Lebkuchen-Flugzeugen. Innerhalb von nur vier Monaten reichten sie die für die Zulassung des Bürgerbegehrens notwendigen 35 000 Unterschriften ein. Vor der Abstimmung organisierten die beiden Bündnisse die Aktion „Meine Münchner Stimme“. Auf einer Art Kontaktbörse im Internet konnten Menschen aus dem Umland dort MünchnerInnen nominieren, bei dem Bürgerentscheid ihre Stimme für sie abzugeben. Das Motto: „Stadt und Land, Hand in Hand“.
Flughafen-Chef Michael Kerkloh rief es als ein „Grundrecht“ aus, „die Welt mobil mit dem Flugzeug zu erreichen“. Die VertreterInnen des Bürgerbegehrens argumentierten dagegen, zwei Startbahnen reichten völlig. Kein Mensch müsse von München nach Nürnberg mit dem Flugzeug reisen. Es gelang ihnen, den Bürgerentscheid als ein Votum darüber zu etablieren, ob die BürgerInnen sich ein München wünschen, das immer schneller, höher, weiter hinauswill. Die „Weltstadt mit Herz“ stand vor der Wahl für mehr Weltstadt oder mehr Herz. Wachstum um jeden Preis oder Vorrang für Mensch und Natur.
Am 17. Juni 2012 entschieden sich die Wahlberechtigten mit 54,3 Prozent gegen 45,7 Prozent der Stimmen dafür, den Bau der dritten Startbahn zu verhindern.
84 Bürgerinitiativen sind im Bündnis „AufgeMUCkt“ zusammengeschlossen.
Ansprechperson
Stefan Nocon
"Wir kämpfen für unsere Natur, unsere Heimat und die Zukunft unserer Kinder: Bayern braucht keine 3. Startbahn!"