Bürgerbegehren, abgeschlossen Berliner Energietisch

Ort
Berlin
Kategorie
Energiewende
Die Berliner Stadtwerke bieten heute hundert Prozent Ökostrom an und das Land Berlin hat als erstes Bundesland den Kohleausstieg bis 2030 gesetzlich festgeschrieben – weil ein Volksbegehren den nötigen Druck auf die Politik aufgebaut hat. Auch ein parlamentarisches Foul der CDU konnte das nicht verhindern.
Berliner Energietisch

Wie es aussieht, wenn bei einem Großkonzern Alarmstimmung herrscht, war 2013 überall in Berlin zu sehen. Der Energieriese Vattenfall hatte Plakate aufhängen lassen, auf denen stand: „35 000 Kilometer Stromnetz. Schön, dass Sie das nicht interessieren muss.“ Da war es aber schon zu spät – die Menschen interessierten sich. Sie wollten wissen, wo der Strom aus ihren Steckdosen herkommt und warum ein profitgetriebenes Unternehmen darüber entscheidet, wenn bei finanziell schlechter Gestellten die Heizung kalt bleibt. Das Thema Energie war Stadtgespräch in Berlin.

Im Jahr 2012 verdiente Vattenfall 165,5 Millionen Euro vor Steuern mit dem Betrieb des Berliner Stromnetzes.

Auf die Agenda gesetzt hatte es das Bündnis „Berliner Energietisch“. Die AktivistInnen wollten eine Gelegenheit nutzen, die sich nur alle zwanzig Jahre bietet: Ende 2014 sollten die Verträge für den Betrieb der Stromnetze auslaufen. Wie viele andere Kommunen auch, hatte die Hauptstadt sie in den Neunzigerjahren an ein Unternehmen verkauft: Vattenfall. Der Energiekonzern strich seitdem jährlich dreistellige Millionenbeträge an Netzentgelten für den Betrieb ein. Gleichzeitig blockierte er als Netzbetreiber die Energiewende. Das Stromnetz musste umgerüstet und auf dezentral produzierten Ökostrom ausgerichtet werden, auf viele Solarzellen und Windräder statt auf wenige Kohlekraftwerke. Da Vattenfall solche Kraftwerke aber selbst betreibt, hatte der Konzern daran wenig Interesse.

Hundert Prozent Ökostrom für Berlin

Als zweiten Teil der Gleichung forderte der „Energietisch“, Berliner Stadtwerke zu gründen, um die Produktion von Ökostrom voranzutreiben. Das Modell sah außerdem sozial gerechte, nach dem Einkommen gestaffelte Tarife vor. Haushalte, die mit ihren Rechnungen in Verzug geraten, sollten Beratung und eine Grundversorgung mit Energie erhalten. Für die BürgerInnen waren basisdemokratische Beteiligungsmöglichkeiten in den Entscheidungsprozessen der Stadtwerke vorgesehen.

„Die Stadtwerke tragen dazu bei, dass langfristig die Energieversorgung Berlins zu 100 Prozent auf der Grundlage dezentral erzeugter erneuerbarer Energien erfolgt.“ Mit diesen Worten begann der Gesetzestext zu dem Volksbegehren „Neue Energie für Berlin – demokratisch, ökologisch, sozial“, den der „Energietisch“ am 18. Januar 2012 einstimmig im Plenum beschloss. Damit sich der Senat damit befassen muss, sind in Berlin 20 000 Unterschriften nötig. Nach vier Monaten waren sie beisammen. Die regierende Große Koalition bot einen Kompromiss an: Die Gründung von Stadtwerken, die aber nicht mehr „demokratisch, ökologisch, sozial“ sein sollten, sondern nur noch ökologisch, und auch das nur unter Auflagen.

„Wesentliche Teile unserer Forderungen sind in den neuen Koalitionsvertrag von Rot-Rot-Grün eingeflossen. Wir sind als ‚Energietisch‘ immer noch zusammen, wir sind immer noch stark. Durch das Volksbegehren haben wir uns in eine Stellung gebracht, in der wir auf Augenhöhe mit der Stadt diskutieren.“

JEns-Martin Rode
erinnert sich schmunzelnd daran, wie Stunden vor Ende der Sammelfrist die Betreiber des Techno-Clubs „Kater Holzig“ aus einem Taxi stiegen – übernächtigt und mit einem Wäschekorb voll Unterschriften.

"Da ist mehr drin!"

Der inzwischen auf über 50 Organisationen angewachsene „Energietisch“ beschloss, das Angebot abzulehnen und mit dem Volksbegehren in die nächste Stufe zu gehen. Damit die BürgerInnen direkt über den Gesetzesentwurf abstimmen konnten, lag die Hürde weit höher, bei 173 000 Unterschriften. Am Ende waren es 271 495 – doch der Senat griff zu einem parlamentarischen Foul. In Berlin müssen bei einem Volksentscheid 25 Prozent der Wahlberechtigten zustimmen, sonst ist er ungültig. Ursprünglich sollte er am 22. September stattfinden, gemeinsam mit der Bundestagswahl. Die CDU verlegte den Abstimmungstermin aber, unter großen Protesten, in den November, um so die Wahlbeteiligung zu senken.

Außerdem verkündete der Senat kurz vor dem Entscheid die Gründung der Berliner Stadtwerke. Sie sollten allerdings keinen Öko-Strom zukaufen dürfen, sondern mussten ihn komplett selbst produzieren. So reichte er gerade mal für einige hundert Haushalte. Eine Scheinlösung also, mit dem Ziel, dem Volksbegehren den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Trotz alledem wäre das Quorum fast geknackt worden. Etwa 622 000 Stimmen hätte der „Energietisch“ gebraucht, aber der Balken blieb bei 599 565 stehen. Der Volksentscheid war damit „unecht“, also am Quorum, gescheitert: Eine überwältigende Mehrheit von 83 Prozent hatte mit Ja gestimmt.

Glückliche VerliererInnen

Viel erreicht hat das Volksbegehren trotzdem. Unter Beteiligung des „Energietischs“ berief das Abgeordnetenhaus die Enquete-Kommission „Neue Energie für Berlin“ ein. Auf ihre Empfehlung hin wurden die kurz vor der Abstimmung gegründeten Stadtwerke von ihren künstlichen Fesseln befreit. Sie dürfen nun Ökostrom kaufen und verkaufen und sind finanziell deutlich besser ausgestattet. Mit den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften hat sie eine Mieterstrom-Plattform gegründet. Auf den Dächern der genossenschaftlichen Gebäude entstehen Solarkraftwerke, deren Strom die MieterInnen kostengünstig beziehen können. Außerdem hat Berlin, auf Empfehlung der Enquete-Kommission, als erstes Bundesland den Kohleausstieg bis spätestens 2030 gesetzlich festgeschrieben.

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