Energie
Energie-versorgung zurückerobern
Rekommunalisierung liegt hoch im Kurs: Immer mehr Städte und Gemeinden in Deutschland holen sich die Kontrolle über ihre Strom- und Wärmenetze zurück und gründen eigene Öko-Stadtwerke. Mit Bürgerbegehren machen wir die lokale Energieversorgung demokratisch und klimafreundlich: Rekommunalisierung statt Privatisierung!
Begünstigt durch die Liberalisierung des Strommarkts verkauften um die Jahrtausendwende zahlreiche Kommunen ihre Stadtwerke und Energienetze an große Energieunternehmen. Kurzfristig spülte die Privatisierung der Energieversorger Geld in die städtischen Kassen. Die Gewinne fließen nun jedoch auf die Konten weit entfernter Konzerne. Investitionen werden verschleppt, wenn sie den Profit drosseln. Strom und Wärme kommen aus mit Kohle, Gas und Atomenergie befeuerten Großkraftwerken.
Seit etwa 2005 findet nun eine Welle von Rekommunalisierungen statt. Mindestens 365 Städte und Gemeinden kauften bis zum Jahr 2017 ihre Strom- und Gasnetze von den privaten Energiekonzernen zurück. Im selben Zeitraum gründeten 152 Städte kommunale Stadt- und Gemeindewerke. Einige Städte nutzten 2019 und 2020 den Verkauf der RWE-Tochter innogy an E.on, um wieder Mehrheitseigentümer ihrer Stadtwerke und Energienetze zu werden. Häufig stand dahinter der Wunsch, über die Stadtwerke die lokale Energiewende anzustoßen.
Mit den Mitteln der direkten Demokratie können wir auch in unserer Gemeinde die Entscheidung herbeiführen, demokratische Kontrolle über die Energieversorgung zu erlangen – sei es über den Rückkauf der Netze oder über die Gründung von Öko-Gemeindewerken. Das funktioniert in großen Städten, wie das Volksbegehren „Neue Energie für Berlin“ zeigt, aber mindestens genauso gut in kleinen ländlichen Gemeinden. Der Großteil der bisher erfolgten Rekommunalisierungen fand in Gemeinden mit bis zu 25 000 Einwohner:innen statt.
Eine Rekommunalisierung früher veräußerter Stadtwerke und Netzrückkäufe oder die Gründung neuer Stadtwerke sind elementare Voraussetzungen für eine schnelle Energiewende.
Beispiele für die Rekommunalisierung der Energieversorgung
Die Schönauer „Stromrebellen“ gewinnen 1991 einen Bürgerentscheid gegen die erneute Vergabe der Energienetz-Konzession an einen privaten Versorger. Dieser hatte sich gegen den ökologischen Umbau der örtlichen Energieversorgung gewehrt. Fünf Jahre später kauft die Bürgerinitiative als Betreibergesellschaft bürgerlichen Rechts die lokalen Netze. Aus der Netzgesellschaft gehen die Elektrizitätswerke Schönau hervor, die heute einer der bekanntesten Ökostrom-Anbieter mit knapp 200 000 Kund:innen bundesweit sind.
Der Volksentscheid „Unser Hamburg – unser Netz“ für den Rückkauf der Hamburger Strom-, Gas- und Fernwärmenetze ist 2013 erfolgreich. Inzwischen sind alle Netze erfolgreich rekommunalisiert.
Die Stadtwerke Haßfurt kaufen 2015 die siebenprozentige Beteiligung eines privaten Unternehmens an den Haßfurter Energienetzen zurück. Bürger:innen können sich für einen Zins von 2,5 Prozent finanziell an der Investition beteiligen. Die Stadtwerke erzeugen heute in eigenen Wind-, Solar- und Biogasanlagen doppelt so viel Strom wie die Gemeinde verbraucht. Sie betreiben außerdem eine Power-to-Gas-Anlage und das erste Wasserstoff-Blockheizkraftwerk Deutschlands.
Die „Münsterlandrebellen“, acht Kommunen aus dem Münsterland, erobern 2016 aus Unzufriedenheit mit dem bisherigen Verteilnetzbetreiber RWE die Hoheit über ihre Strom- und Gasnetze zurück.
Die Stadtwerke Donauwörth übernehmen 2018 die Mehrheit am kommunalen Stromnetz von der innogy-Tochter Lechwerke.
Erfolgsbeispiele: Kommunale Öko-Stadtwerke gründen
Die hessische Stadt Wolfhagen gründet 2001 eigene Stadtwerke mit innovativem Beteiligungsmodell: Neben der städtischen Mehrheit befinden sich 25 Prozent im Besitz einer Bürgerenergie-Genossenschaft. Die Stadtwerke erzeugen die jährlich verbrauchte Menge Strom in lokalen Solar- und Windkraftanlagen. 2006 kauft die Stadt auch die Netze zurück.
Die Stadt Hamburg gründet 2009 die Öko-Stadtwerke „Hamburg Energie“. Sie sind heute Hamburgs größter Solarstromerzeuger.
In Stuttgart gründet der Stadtrat 2011 Stadtwerke als reinen Ökostromanbieter – mit der Absicht, auch die Hoheit über die Netze wiederzuerlangen. Nach dem Auslaufen der Verträge mit EnBW kauft die Stadt die Strom- und Gasnetze mehrheitlich zurück.
Die Stadtwerke Rheda-Wiedenbrück werden 2014 als Gas- und Ökostromanbieter gegründet. Von jeder Kilowattstunde des Ökostroms wird ein Teil in einen Fonds eingezahlt, der für Umweltschutzprojekte in der Stadt vorgesehen ist.
Das Regionalwerk Chiemsee-Rupertiwinkel verkauft seit 2020 Strom aus lokalen Photovoltaik- und Biogasanlagen, die demnächst aus der EEG-Förderung fallen – und sichert so deren Fortbestehen. 15 bayerische Kommunen sind an dem Öko-Versorger beteiligt.
Energienetze in die öffentliche Hand
Energieversorgung ist eine öffentliche Aufgabe. Städte und Gemeinden können den Betrieb ihrer Netze für Strom, Gas und Wärme allerdings auch über Konzessionsverträge an private Unternehmen abtreten. Im Gegenzug erhalten sie eine Konzessionsabgabe, verzichten aber auf die meist höheren Gewinne aus dem Netzbetrieb – und darauf, die Netze in Eigenregie fit für die Energiewende machen zu können.
Darum brauchen wir die Netze
- Mit dem Betrieb von Strom-, Gas- und Wärmenetzen lässt sich Geld verdienen – sonst würden es private Unternehmen schließlich nicht machen. Bleiben die Gewinne in der Kommune, können sie in die Energiewende, in soziale Einrichtungen oder den öffentlichen Nahverkehr fließen.
- Die Verteilnetze müssen für die Einspeisung aus erneuerbaren Energiequellen umgebaut werden. Die Energie kommt dann dezentral aus vielen kleinen Anlagen. Kommunale Netzbetreiber mit einer Energiewende-Vision und einem Interesse an lokaler Wertschöpfung tätigen die dafür nötigen Maßnahmen eher als fossile Energiekonzerne. Unter diesen Voraussetzungen kann sich ein breiter Energieerzeugermarkt aus kleinen und mittelständischen Unternehmen, samt den dazugehörigen Arbeitsplätzen, in der Region entwickeln.
Die Konzessionsverträge für Strom- und Gasnetze sind nach dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) geregelt und dürfen höchstens über eine Laufzeit von 20 Jahren abgeschlossen werden. Dann wird die Konzession neu ausgeschrieben. Das ist die Gelegenheit, um die Netze zurück in kommunale Hand zu holen. Komplizierter ist es im Fall der Wärmenetze, deren Vergabe nicht im EnWG festgelegt ist. Hier ist die Kommune bei der Übernahme darauf angewiesen, dass der Altkonzessionär verhandlungsbereit ist oder eine Kaufoption vertraglich festgelegt wurde.
Ein Großteil der Verträge lief in den Jahren 2009 bis 2012 aus. Doch auch in den kommenden Jahren gibt es für viele Gemeinden die Chance, ihre Strom- und Gasnetze zurückzubekommen. Zwischen 2023 und 2027 enden bundesweit etwa 1300 Strom- und Gasnetzkonzessionsverträge. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, per Bürgerbegehren die Energieversorgung in die eigene Hand zu nehmen. Voraussetzung dafür ist, dass es einen kommunalen Energieversorger gibt, der diese Aufgabe übernehmen kann.
Die Gemeinde ist dazu verpflichtet, das Auslaufen eines Konzessionsvertrags für die Strom- oder Gasnetze mindestens zwei Jahre vorher im Bundesanzeiger bekanntzugeben. In den drei Monaten nach der Ankündigung können Unternehmen ihr Interesse bekunden. Um sicherzugehen, dass der Bürgerentscheid rechtzeitig abgeschlossen ist, sollten wir drei bis vier Jahre vor Vertragsende mit der Vorbereitung des Bürgerbegehrens beginnen. Wir sollten also frühzeitig herausfinden, wann der Konzessionsvertrag endet. Kommunalpolitiker:innen erhalten Einsicht in die Verträge und können uns diese Information geben. Oder wir stellen eine offizielle Anfrage an die Kommune.
„Sehr geehrte:r Bürgermeister:in,
Die Gemeinde/Stadt hat mit einem Energieversorger einen Strom-Konzessionsvertrag abgeschlossen. In diesem Zusammenhang bitte ich/bitten wir um die Beantwortung folgender Fragen:
- Mit welchem Unternehmen hat die Gemeinde/Stadt einen Konzessionsvertrag über die öffentliche Versorgung mit elektrischer Energie abgeschlossen?
- Zu welchem Zeitpunkt wurde der Vertrag abgeschlossen?
- Wann endet die Laufzeit des Vertrages?
- Enthält der Vertrag die Bestimmung, dass die Gemeinde bei Ablauf des Vertrages berechtigt ist, die für die Versorgung des Gemeindegebiets notwendigen Leitungen und Anlagen gegen Erstattung ihres Wertes zu erwerben?
Mit freundlichen Grüßen…“
Sobald wir von einem auslaufenden Konzessionsvertrag wissen, können wir die Gemeinde per Bürgerentscheid verpflichten, sich – allein oder im Verbund mit benachbarten Kommunen – um die Netzübernahme zu bewerben. „Bewerben“ deshalb, weil die Gemeinde die Konzession nach Ablauf des Vertrags nicht einfach an die eigenen Stadtwerke vergeben darf. Auch diese müssen, ebenso wie private Betreiberfirmen, zunächst an einem geregelten Verfahren, in dem die Gemeinde alle Interessent:innen gleich behandeln muss, teilnehmen.
Die Kriterien für die Vergabe und ihre jeweilige Gewichtung schreibt das EnWG vor. Dazu gehören Versorgungssicherheit, der Energiepreis, Verbraucherfreundlichkeit, Effizienz, aber auch Umweltverträglichkeit. Kommunen mit mehr als 100 000 Netzkund:innen müssen eine von den Stadtwerken separate Gesellschaft für den Netzbetrieb gründen.
Stadt- oder Gemeindewerke gründen
Gibt es keinen kommunalen Energieversorger, der die Netze übernehmen könnte, sollten wir noch eine andere Option prüfen, die weniger kompliziert ist als sie klingt: Lohnt es sich, per Bürgerbegehren die Gründung eines ökologischen Stadt- oder Gemeindewerks zu veranlassen?
Stadt- und Gemeindewerke versorgen die Bevölkerung mit den grundlegenden Gütern und Dienstleistungen für das tägliche Leben. Sie liefern Wasser und Energie, kümmern sich um die Abfallentsorgung, den öffentlichen Nahverkehr und oft noch um vieles mehr. Strom kaufen sie entweder auf dem Strommarkt oder sie produzieren ihn in eigenen, meist lokalen Anlagen. Stadt- und Gemeindewerke sind nicht den Interessen von Anteilseigner:innen verpflichtet, sondern dem Gemeinwohl. Das macht sie zu wesentlichen Akteurinnen im kommunalen Klimaschutz.
Wenn das örtliche Energieunternehmen nur minderheitlich in kommunaler Hand ist, können wir per Bürgerbegehren fordern, dass die Gemeindevertretung Verhandlungen zum Rückkauf von Anteilen aufnehmen soll. Ist sie wieder Mehrheitseigentümerin, können wir Bürger:innen demokratische Kontrolle ausüben und die Geschäftspolitik im Sinne der Energiewende beeinflussen.
Besitzt die Kommune keinen kommunalen Energieversorger, können wir sie per Bürgerbegehren auffordern, ein eigenes Öko-Energieunternehmen zu gründen.
Eine Abstimmungsfrage für das Bürgerbegehren kann beispielsweise so lauten:
„Sind Sie dafür, dass die Stadt … ein Stadtwerk gründen soll, das Strom und Wärme aus 100 Prozent erneuerbaren Energien vertreibt und liefert sowie Maßnahmen umsetzt, um den Ausbau lokaler Erneuerbare-Energien-Anlagen voranzutreiben?“
Für kleinere Gemeinden kann es sinnvoll sein, gemeinsam mit anderen Kommunen des Landkreises einen regionalen Energieversorger zu gründen. Dazu können wir in der Begründung des Bürgerbegehrens erwähnen, dass die Gemeindevertretung mit diesem Anliegen an die Nachbarkommunen herantreten soll. In diesem Fall könnten auch mehrere Kommunen gemeinsam eine Machbarkeitsstudie für ein Öko-Regionalwerk beauftragen.
Die neu zu gründenden Stadt- oder Gemeindewerke sollten eine Gesellschaftsform bekommen, die eine möglichst hohe demokratische Kontrolle ermöglicht. Die weitreichendsten Beteiligungsmöglichkeiten und Transparenz bieten öffentliche Rechtsformen wie Anstalten öffentlichen Rechts, Regiebetriebe oder Eigenbetriebe. Auch bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) sind sie größer als bei einer Aktiengesellschaft (AG). Über eine Beiratsstruktur können Sozial- und Umweltverbände Einfluss auf die Geschäftspolitik nehmen.
Auch der in der Satzung festgelegte Unternehmensgegenstand spielt eine wichtige Rolle. Er kann zum Beispiel die Versorgung mit Elektrizität und Wärme aus nicht-erneuerbaren Quellen ausschließen. Weitere Anhaltspunkte dafür, welche Kriterien die von uns per Bürgerbegehren geforderten Stadt- oder Gemeindewerke erfüllen sollten, liefert der Kasten „Mit Stadtwerken in die Energiedemokratie“. Der Gesetzesentwurf des Volksbegehrens auf Stadtstaatsebene „Neue Energie für Berlin“ bietet ebenfalls wertvolle Anregungen – auch für Bürgerbegehren auf kommunaler Ebene.
Es lohnt sich, zunächst mit Gemeindevertreter:innen über unsere Vorschläge zu sprechen und sie dafür zu begeistern. Am leichtesten lassen sie sich durch Erfolgsbeispiele überzeugen. Es ist daher hilfreich, Kontakt zu Stadt- oder Gemeindewerken aufzunehmen, die in den letzten Jahren gegründet wurden – möglichst aus unserer Region. Deren Vertreter:innen sind häufig gerne bereit, andere Kommunen zu unterstützen. Ein gutes Beispiel ist die „Stadtwerke Union Nordhessen“. Sie hilft Kommunen, die ihre Energienetze rekommunalisieren oder Gemeindewerke gründen wollen, aber auch Stadtwerken, die in die Energieproduktion mit erneuerbaren Energien einsteigen wollen. Auch die am Anfang des Kapitels vorgestellten Öko-Stadt- und Gemeindewerke sind gute Anlaufpunkte für einen Erfahrungsaustausch.
Mit Stadtwerken in die Energiedemokratie
Stadtwerke können…
- 100 Prozent Ökostrom vertreiben.
- den Strom- und Wärmemarkt beeinflussen, indem sie eigene Erneuerbare-Energien-Anlagen errichten oder sich finanziell an Projekten von Partnern in der Region beteiligen.
- Direktlieferverträge mit Erneuerbare-Energien-Anlagen aus der Region schließen, deren Förderung durch das EEG ausläuft.
- im Rahmen von Quartierskonzepten Nahwärmenetze auf Basis von erneuerbaren Energien aufbauen.
- die Bürger:innen bei der Energieeinsparung beraten und technische Lösungen anbieten.
- mit Sozialtarifen diejenigen unterstützen, die sonst von Energiearmut betroffen sind.
- mit innovativen Finanzierungsmodellen Bürgerbeteiligung ermöglichen und so die Akzeptanz der Energiewende erhöhen.
- Aufträge an ortsansässige Firmen vergeben und so die lokale Wertschöpfung fördern.
- im Sinne des Gemeinwohls durch die Gemeindevertretung und die Bürger:innen kontrolliert und gesteuert werden.
- den Haushalt der Kommune aufstocken. Die Gewinne fließen in die öffentliche Hand und stehen für die Finanzierung anderer wichtiger Bereiche der Daseinsvorsorge zur Verfügung.
ENERGIE
- Stadtwerke zu Ökostromversorgern machen
- Wärmewende starten
- Die Sonne reinlassen
- Energieversorgung zurückerobern
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